ASD und
AIA haben in Nachfolge
der AECMA Normenarbeitskreise übernommen,
deren Ergebnisse für technische Redakteure interessant sind:
Specification 1000D und
Specification 2000M - kurz S1000D und S2000M.
Inhalt:
- Das Ziel:
Interaktive Elektronische Technische Dokumentation (IETD)
- S1000D:
Ein SGML-Standard für logistische Dokumentation
- S2000M:
Ein SGML-Standard für Ersatzteillisten und Logistik
- Was bedeutet die S1000D
für die Arbeit des technischen Redakteurs?
Das Ziel:
Interaktive Elektronische Technische Dokumentation
(IETD)
Das Ziel der hier diskutierten Normungsbestrebungen ist eine einheitliche Basis
für interaktive elektronische Dokumentation. Dabei geht es nur zum kleineren Teil
darum, die Papierberge einzudämmen – alte Phi-mal-Daumen-Regel: Ein Satz komplette
Dokumentation für ein Verkehrsflugzeug in Papierform wiegt so viel wie das Flugzeug
selber. Da kommen dann schon mal über 100 Tonnen zusammen.
Der Nutzer soll mit dem Ausgabesystem (Viewer) mehr tun können als mit
dem Acrobat Reader.
Ausgangspunkt mußte deshalb ein System sein, das mit
Inhaltliche Auszeichnung und Strukturierung
arbeitet. Ich fand keine Information darüber, warum es unbedingt
SGML sein mußte.
Diese Aktivitäten sind schon sehr lange unterwegs. Auf
vergeichsweise neue Technik wie XML oder
Topic Maps (ISO 13250)
reagiert der Standard deshalb erst langsam.
Jenseits der Normen und einiger einführender Präsentationen und Artikel ist die
Informationsbeschaffung sehr mühsam. Läßt man sich die Bezeichnung IETD langsam
auf der Zunge zergehen, scheinen folgende Anwendungen realistisch:
- Auflösen von Verweisen. Je komplexer ein Produkt ist, um so häufiger
werden bestimmte Arbeiten in unterschiedlichen Zusammenhängen
ausgeführt – etwa der Ausbau eines Aggregates, um den Bereich dahinter erreichen
zu können, oder ein abschließender Abgleich. Der Viewer kann die bislang
unvermeidlichen Verweise
auflösen und dem Nutzer eine lineare Arbeitsanweisung präsentieren.
- Verschränken der Dokumentation mit speziellen Eigenschaften eines bestimmten
Gerätes. Der Servicetechniker gibt Seriennummer und diverse Meßgrößen
wie Betriebsstunden in seinen Rechner ein und erhält einen
Ablaufplan für die genau jetzt fälligen Arbeiten.
Künftig wird das Produkt wohl direkt mit dem Viewer kommunizieren
und so selbst die benötigten Arbeiten anfordern.
- Verschränken mehrerer Arbeitsabläufe. Falls etwa zwei
Arbeiten mit jeweils den gleichen Abgleicharbeiten abgeschlossen werden müssen,
erscheint diese Nacharbeit im Arbeitsplan nur einfach.
- Neuartige Ausgabemöglichkeiten der Dokumentation. Schon heute gibt es
Datenbrillen und andere tragbare Ausgabeeinheiten. SGML-Dokumente lassen sich
für die Ausgabe äußerst flexibel aufbereiten, sicher auch für solche
Anwendungen. So weiß der Viewer,
was ein einzelner Arbeitsschritt ist oder welche Spezialwerkzeuge jeweils
benötigt werden. Ehe der Techniker also in eine enge Ecke kriecht, kann er so
genau die benötigten Werkzeuge und Materialien zusammenpacken und den Kollegen
heran rufen, den er gleich brauchen wird. Mit dem gesprochenen Kommando
weiter zeigt ihm die Datenbrille die Anleitung für den nächsten
Arbeitsschritt.
S1000D:
Ein SGML-Standard für logistische Dokumentation
Die S1000D gibt den Rahmen für die komplette
Dokumentation von Flugzeugsystemen vor, speziell im militärischen Bereich.
Es gibt auch Bestrebungen, diese Normen für erdgebundene Fahrzeuge zu erweitern.
zur Normung gehört eine Liste aller angemeldeten Produkte. Diese Anmeldung ist
Voraussetzung, weil der darauf hin vergebene Model Identification Code Teil
der Bezeichnung jedes einzelnen Dokumentationsbausteins ist. Damit kann dann jeder
Hersteller ohne weitere Koordination garantiert eindeutige Bezeichnungen für seine
Dokumentationsbausteine vergeben.
Schließlich treffen die Produkte verschiedener
Hersteller später beim Kunden aufeinander – und deren Dokumentationen in ein und
demselben Viewer. Oder unterschiedliche Produkte enthalten
die gleichen Komponenten eines Drittherstellers, der seine eigene normkonforme-konforme
Dokumentation liefert.
Die S1000D definiert vor allem drei Dinge:
- Ein Klassifizierungssystem für alle Teile der Dokumentation.
- Eine Struktur für jeden einzelnen Dokumentationsbaustein. Da steht nicht
nur, daß ein Warnhinweis stets vor, nicht
hinter, dem betreffenden Handlungsschritt zu stehen habe, sondern
es gibt auch Platz umfangreiche
Metadaten: notwendige Vor- und
Nacharbeiten, Qualifikation des benötigten Personals, Arbeitszeitvorgaben und
vieles mehr.
- Datenbankstrukturen, um Dokumentationsprojekte zu managen und die Dokumentation
nutzbar zu machen. Letzteres ist außerordentlich wichtig, um eine Nutzung der
Dokumente unabhängig von der speziellen Infrastruktur des Erstellers, in einem
"Viewer", zu ermöglichen. Die Dokumentationsbausteine kennen ja immer nur
ihr unmittelbares Umfeld, nicht das große Bild.
Für den deutschsprachigen Redakteur wohl nicht ganz so entscheidend sind die
Vorgaben für ein Simplified English.
Um den Detailgrad dieser Norm zu beleuchten, sei ein Data Module Code
konstruiert: 1A-A-293003-01A-231-A-A ist die Bezeichnung für einen
Dokumentationsbaustein, der das Entlüften einer Hydraulik-Anzeigeeinheit (vulgo
Manometer) beim Eurofighter im eingebauten Zustand beschreibt.
Weitere Informationen und Teile der S1000D sind über die Website der Technical Publications Specification
Maintenance Group (TPSMG) kostenlos verfügbar.
S2000M:
Ein SGML-Standard für Ersatzteillisten und Logistik
Was hier als Ersatzteillisten
bezeichnet wird, ist bedeutend mehr als nur eine
Tabelle: Das Produkt wird nach vielen Vorschriften aufgegliedert, alles wird
mit Explosionszeichnungen illustriert. Wer die typischen Unterlagen aus dem
mittelständischen Maschnenbau kennt, dem werden bei einem Werk nach S2000M
die Augen übergehen. Dabei sollten die zitierten Maschinenbauer es eigentlich besser
wissen: Es gibt Statistiken, daß bis zu 2/3 aller ausgelieferten Ersatzteile sich
als Fehllieferungen herausstellen, weil der Techniker vor Ort das gesuchte Teil nicht
ausreichend sicher identifizieren kann.
Die S2000M ist ganz wesentlich eine Arbeitsgrundlage für den technischen
Illustrator. Der technische Redakteur muß sich damit vor allem dann intensiv
auseinandersetzen, wenn er oder sie das Produkt aufgliedern muß. Bedeutend einfacher
ist der Standardjob: Zum Dokumentationsbaustein die benötigten Ersatzteile
zusammenzusuchen. Das kann aber auch noch komplex genug sein, wenn man etwa einen
Sprengring sucht und der bei der räumlich benachbarten, aber logisch völlig anders
eingeordneten Rückwand untergebracht ist.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß sich die S2000M um die
kompletten Abläufe und Verfahren der Materialwirtschaft kümmert. Aber damit
verlassen wir den Bereich, der für den technischen Redakteur interessant ist.
Was bedeutet die S1000D
für die Arbeit des technischen Redakteurs?
Vor allem eines: Die Zeit der freischaffenden Künstler ist vorbei.
Praktisch jeder einzelne Satz muß nach genauen Vorgaben konstruiert werden.
Das war im militärischen Bereich zwar theoretisch auch bislang schon so, jetzt wird
es aber maschinell geprüft. Bislang hielten sich die Prüfer des Kunden doch eher an
Formalem fest: Warum ist der Änderungsbalken auf dieser Seite breiter als zwei
Seiten vorher?
Die Dokumentationserstellung ist zwangsweise stark arbeitsteilig,
wobei wohl meist hierarchische Strukturen entstehen:
- Die erfahrensten Kollegen oder auch Logistiker teilen die
Dokumentationsbausteine ein und vergeben die Data Module Codes (DMC).
Ihre Arbeit speichern sie zu wesentlichen Teilen in einer Datenbank mit normierter
Struktur.
- Die meisten Kollegen bekommen DMCs zugeteilt und erstellen dann die einzelnen
Dokumentationsbausteine. Ausgangspunkt für diese Arbeiten ist neben der
Ersatzteilliste (nach S2000M) die Datenbank mit den bereits
definierten DMC, um den eigenen Dokumentationsbaustein in das ganze Geflecht
der Dokumentation einzupassen.
- Ein Schlußredakteur muß u.a. sicherstellen, daß die einzelnen
Dokumentationsbausteine auch zusammenpassen. Das ist aber bedeutend
unübersichtlicher als bei herkömmlicher Dokumentation: Je nach Einsatzzweck
kann der Viewer die Dokumentationsbausteine in völlig unterschiedlicher
Reihenfolge zusammensetzen. Auch deshalb ist die genaue Einhaltung der
Vorschriften so wichtig.
Nach diesen Spezifikationen erstellte Dokumentationen sind zwangsweise sehr
umfangreich. Das ergibt sich nicht nur aus der Komplexität der beschriebenen
Produkte, sondern auch aus der benötigen Infrastruktur. Noch gibt es sehr wenige
Werkzeuge, die man fertig kaufen und kurzfristig einsetzen könnte. So mancher
Dienstleister preist nicht umsonst sein, im eigenen Haus mit vielen Mannjahren
Aufwand konstruiertes, kompatibles Verwaltungs- oder
Autorensystem an.
Auch sollte man nicht vergessen, daß es sich hier
um ein ausgewachsenes SGML-System handelt, das sich nicht auf die, aus gutem Grund
eingeführten, Vereinfachungen aus der XML-Welt verlassen kann.
Nicht verbessen darf man auch, daß das Erstellen inhaltlich strukturierter
Dokumente noch längst nicht Stand der Technik ist. Eine repräsentative
Untersuchung der tekom e.V. [1] aus dem Jahr 2002 hatte das
Ergebnis, daß zwar ... viel von XML geredet [werde], konkrete Lösungen aber
noch eher selten umgesetzt seien. Ich sehe auch an verschiedenen Stellen
Hinweise auf Eigenentwicklungen an Autorenwerkzeugen. Wer hier und jetzt einsteigt,
muß also mit recht unkomfortabler Arbeitsumgebung und wohl auch so manchem
Provisorium rechnen.
Der Berufseinstieg als Redakteur
Eines muß von Anfang an klar sein: Dies ist eine Disziplin für Marathonläufer,
nicht für Sprinter. Wer Projektlaufzeiten von Wochen oder Monaten kennt, muß
völlig umdenken. Um ein aktuelles Projekt zu nennen: Der Eurofighter wurde in den
80er Jahren des letzten Jahrhunderts als Jäger 90 geboren und wird nach
aktuellen Angaben des Bundesrechnungshofes noch wenigstens fünf Jahre brauchen, um
seine volle Einsetzbereitschaft zu erreichen – 20 Jahre Entwicklungszeit und weitere
30 Jahre Praxiseinsatz sind auf diesem Gebiet völlig normal. 10 Mannjahre
sind einen handelsübliche Projektgröße. Das macht dieses Gebiet zu einer Domäne für die
großen Dienstleister, die meist schon langjährige Geschäftsbeziehungen pflegen. Da
fliegt jemand nur raus, wenn ein großes Projekt stirbt oder der Dienstleister
massiv Unfug treibt.
Verständlich ist auch, daß eher der Ingenieur mit sprachlicher Kompetenz denn der
Pädagoge gefordert ist: Die Produkte sind komplex und niemand kommt da ran, der keine
Schulung genossen hat. In meiner Bundeswehrzeit mußte ich erst mal eine Ausbildung in
der Stammeinheit machen, ehe ich auch nur eine Wartungstür öffnen durfte.
Die Kollegen aus der Rüstungsindustrie überschätzen meiner Meinung nach deutlich ihre
Spezialisierung, wenn sie technische Redakteure aus anderen Bereichen
grundsätzlich als ungeeignet aussortieren – meiner Meinung nach gängige Praxis.
Ich kam da auch nur rein, weil ich schon Erfahrung mit
inhaltlich strukturierten Dokumenten hatte und eine Ingenieurausbildung
vorweisen konnte.
Das hindert aber manche Personalberater nicht daran, von Stundensätzen gegenüber dem
Endkunden von weniger als 50 EUR zu reden und auf Arbeitnehmerüberlassung zu bestehen.
Zwar sind die Zeiten vorbei, als in diesem Bereich für das Erstellen einer Seite
Dokumentation wohl über 1.000 DM gezahlt wurden. Aber auch bei Industriepreisen
im Bereich 200 – 300 EUR sollte eine vernünftige Bezahlung hoch qualifizierten
Personals möglich sein.
Literatur
- [1] Schäfer, Gregor: Konkrete XML-Lösungen noch eher
selten: Ergebnisse des Projekts "Adaptive READ"
- in: technische Dokumentation 5/2002, S. 36ff
|